Ein Feuerwehrmann geht durch den Qualm eines brennenden Hauses, nach russischen Beschuss in der Region Charkiw.

Offensive in der Region Charkiw Russland setzt Angriffe im Grenzgebiet fort

Stand: 11.05.2024 11:39 Uhr

Russland versucht, im Grenzgebiet bei Charkiw weiter vorzurücken. Noch ist die Offensive laut Experten kein Vorstoß auf die Millionenstadt. Vielmehr wolle Moskau eine Pufferzone in der Region errichten.

Die ukrainische Armee wehrt sich nach Angaben des Generalstabs weiter gegen eine russische Offensive im Grenzgebiet bei der Millionenstadt Charkiw. Das Militär berichtete am Morgen von neuen Gefechten an diesem Frontabschnitt.

Dabei hieß es pauschal, die russischen Vorstöße seien abgewehrt worden. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. "Der Feind setzt Bodentruppen und Technik ein", hieß es in einer Mitteilung des Generalstabs vom Freitagabend.

Das ukrainische Militär berichtet seit Freitag von russischen Vorstößen an zwei breiten Frontabschnitten. Die Offensive war erwartet worden, weil die russische Armee nahe der Grenze mehrere zehntausend Soldaten zusammengezogen hat. Auch Präsident Wladimir Putin hatte schon im März eine Offensive angedroht.

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Karte der Ukraine, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Russland will Ukraine offenbar zur Truppenverlegung bewegen

Ukrainische und russische Militärbeobachter wie auch ausländische Experten gehen davon aus, dass der Vorstoß noch nicht auf die Stadt Charkiw ziele. Nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Militärvertreters ist das Ziel der russischen Armee, eine Pufferzone in den Regionen Charkiw und Sumy zu errichten, um das ukrainische Militär daran zu hindern, die auf russischer Seite gelegene Region Belgorod weiter unter Beschuss zu nehmen.

Auch das Institut für Kriegsstudien ISW in den USA geht von "begrenzten operativen Zielen" aus. Die Angriffe sollten die ukrainischen Kräfte von der Grenze abdrängen; durch das Vorrücken solle Charkiw wieder in die Reichweite russischer Rohrartillerie kommen. 

Strategisches Ziel sei, die Ukrainer zu zwingen, Soldaten und Material von anderen bedrängten Abschnitten der Front im Osten abzuziehen. Der begrenzte Einsatz lege nicht nahe, "dass russische Kräfte in großem Maßstab eine Offensivoperation durchführen, um Charkiw einzuschließen, einzukreisen oder zu erobern", schrieb das ISW.

Evakuierungen von mehr als tausend Menschen

Durch die russische Offensive rückt die Front näher an weitere ukrainische Dörfer und Städte. In der Region Charkiw sind nach Behördenangaben mehr als tausend Menschen aus grenznahen Gebieten evakuiert worden. Insgesamt seien 1.775 Menschen in Sicherheit gebracht worden, teilte Regionalgouverneur Oleh Synegubow mit. Ihm zufolge waren in den vergangenen 24 Stunden 30 Ortschaften von russischen Artillerie- und Mörserangriffen betroffen.

Bewohner des Ortes Woltschansk warten auf die Evakuierung.

Bewohner der Stadt Wowtschansk warten auf ihre Evakuierung.

Der Angriff hat laut Berichten von der Front zwei Stoßrichtungen. An einem Grenzabschnitt etwa 30 Kilometer nördlich von Charkiw besetzten russische Truppen mehrere ukrainische Dörfer. Sie lagen nach übereinstimmenden Angaben in einer Art grauer Zone noch vor der vordersten ukrainischen Verteidigung. Der ukrainische Generalstab nannte das Dorf Lipzy als Stoßrichtung dieses Angriffs. 

Der zweite Angriff zielte auf die Stadt Wowtschansk etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw. Auch dort wurden mehrere kleine Orte entlang der Grenze besetzt. Im Fall Wowtschansk sehen Experten eher die russische Absicht, Nachschublinien der Ukraine in Richtung Kupjansk zu stören.

Die Ukraine wehrte sich laut russischen Angaben, indem sie in der Nacht das russische Grenzgebiet Belgorod mit Raketenartillerie und Drohnen angriff. Auch am Morgen wurde in Belgorod zeitweise Raketenalarm ausgelöst. In Rowenki im russisch besetzten Gebiet Luhansk löste demnach Beschuss einen Brand in einem Treibstoffdepot aus.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

USA erwarten keine großen Durchbrüche

Die USA bezweifeln, dass Moskau bei der Offensive größere Fortschritte erzielen wird. "Wir erwarten keine großen Durchbrüche", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Die USA hätten "Vertrauen" in die ukrainischen Streitkräfte, erläuterte Kirby. Washington habe die Offensive erwartet.

Russland habe während der monatelangen Hängepartie im US-Kongress bezüglich neuer Militärhilfen entsprechende Vorbereitungen getroffen. Die USA gaben derweil zudem weitere Militärhilfe für die Ukraine im Wert von 400 Millionen Dollar (gut 370 Millionen Euro) bekannt. Die zu liefernden Rüstungsgüter sollen aus Lagerbeständen des US-Verteidigungsministeriums kommen - und somit rasch verfügbar sein.

Marc Dugge, ARD Kiew, tagesschau, 11.05.2024 05:58 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 11. Mai 2024 um 12:00 Uhr.